Lust über die Feiertage mit Red aus meinem Roman Rotkäppchen und der Hipster-Wolf Weihnachten zu retten?
Das Beste: Du musst die Reihe nicht mal kennen, da die Handlung VOR Band 1 spielt.
Rotkäppchen und der Weihnachts-Bot
Ich stecke bis zu den Ellenbogen in Lametta und Glitzer, während ich versuche, das Weihnachts-Chaos zu ordnen, das Cinder entfesselt hat. „Wie wär’s mit einem Glühweinbrunnen?“ schlage ich vor. „Mit echten Zimtstangen? Das verleiht der Party einen Hauch von Magie.“
Cinder, früher bekannt als Cinderella klatscht in die Hände. „Ja, eine gute Idee, Red! Und wir brauchen unbedingt eine Selfie-Ecke.“
Nicht weit entfernt sortiert Rapunzel die Tannenzweig-Deko und beäugt Cinder und mich offensichtlich schlecht gelaunt. Neben ihr lehnt Snows Smartphone auf dem Kaminsims. Und von ebendiesem Smartphone-Display aus beobachtet uns Spieglein.
Rapunzel räuspert sich. „Findet ihr das nicht ein bisschen übertrieben? Denkt an den CO2-Abdruck all dieser Partydeko!“
„Ganz genau“, brummt der Spiegel, „wie soll sich der Planet je von diesem apokalyptischen Ereignis einer Weihnachtsfeier erholen?“
„Hey, wir recyceln, wo wir können!“ protestiert Cinder und wedelt mit einer Liste nachhaltiger Party-Mitbringsel. „Und die Lichterketten sind solarbetrieben!“
Rapunzel schnaubt und ich sehe, wie ihre Haare unkontrolliert ein Stück wachsen. „Es geht nicht nur um Strom, sondern um Verantwortung. Wir haben die Verantwortung, zu—“
„Die Verantwortung zu feiern?“ Ich grinse und stupse Cinder an. Wir teilen einen verschwörerischen Blick. Sie kichert heller als jede Weihnachtsdeko klimpern könnte.
„Komm schon, entspann dich.“ Auf einmal steht Snow, wie wir Schneewittchen nennen, neben Rapunzel und legt ihr einen Arm um die Schultern. „Es ist Weihnachten! Zeit für Freude, Spaß und ein bisschen Chaos. Zumindest bis unsere Männer vom Eisangeln zurückkehren.“
Rapunzel nickt.
Ehemänner, die den ganzen Tag zocken oder angeln – darauf kann ich persönlich ja verzichten, aber meine Freundinnen sind im Besitz von je so einem Exemplar.
„Wartet!“ Cinders Augen strahlen. „Wie wäre es mit einer Selfie-Ecke mit süßen Schneekaninchchen? Und der Goldenen Gans als Weihnachtself?“
Ich nicke ernst. „Nichts schreit mehr Weihnachtsstimmung wie eine zu diesem Zweck eingesetzte Goldene Gans in Strumpfhosen.“
Snow stöhnt. „Alles, nur das nicht.“ Sie tauscht einen Blick mit ihrem Spiegel, ehe der hinzufügt: „Ein Weihnachtself, wie originell.“
„Da fällt mir ein“, sage ich, wobei ich mich an der Schläfe kratze, die zu jucken begonnen hat – was in letzter Zeit öfter vorkommt, wenn etwas Unangenehmes kurz bevorsteht. „Hat der Weihnachtsmann eigentlich auf unsere Partyeinladung geantwortet?“
„Bisher nicht“, antwortet Spieglein. „Warte, tatsächlich kommt in diesem Augenblick eine Mail von ihm rein …“ Seine schwarzen Augenlöcher verziehen sich zuerst zu riesigen Kreisen, ehe sie schmal werden. „Abgesagt! Santa kommt nicht zu unserer Weihnachtsparty! Wieso tut er mir das an? Ich wollte ihn endlich auf so viele Mysterien ansprechen. Wie er in einer Nacht alle Geschenke ausliefern kann, wieso seine Rentiere fliegen und-“
„Und wieso du noch nie ein Geschenk von ihm erhalten hast“, ergänzt Snow. „Wissen wir.“
Der Spiegel öffnet den Mund und schließt ihn wieder. So sprachlos habe ich ihn noch nie zuvor gesehen.
„Hey, vielleicht überrascht er uns und kommt doch noch“, sagt Cinder hoffnungsvoll, wobei sie jeden von uns in der Runde ansieht. Alle weichen ihrem Blick aus. Lediglich Spieglein stößt ein Knurren aus. Als ob er etwas im Schilde führen würde.
„Was machst du da?“ frage ich und linse auf seine verbissene Miene. Normalerweise bedeutet das, dass er irgendetwas im Internet anstellt, der selbsternannte Meister-Hacker des Märchenwalds.
„Sagen wir einfach, der Weihnachtsmann wird seine Lektion schon lernen, sobald er das nächste Mal sein Postfach öffnet.“
„Hast du … dich in Santas E-Mails gehackt?“ fragt Cinder, teils entsetzt, teils beeindruckt.
„Oh ja“, sagt Spieglein zufrieden. „Hab seinen Kontakten einen festlichen Gruß geschickt. Inklusive der Info, dass er seinen Schlitten in diesem Jahr durch einen Heißluftballon ersetzen wird – es dadurch allerdings zu Wartezeiten kommen kann.“
„Spiegel, du stehst für immer auf der Unartigen-Liste.“ Rapunzel schüttelt den Kopf.
„Also ich finde, dass das irgendwie Stil hat.“ In Snows Augen glitzert es gefährlich. „Zukünftig wird sich jeder genau überlegen, ob er eine Partyeinladung von uns ausschlägt.“ Sie lacht so laut, dass Rose auf der Couch aufwacht. Seit ihrem hundertjährigen Schlaf leidet sie unter einer heftigen Form von Schlaferitis und schafft es fast nie einer ruhigen Tätigkeit nachzugehen, ohne währenddessen einzuschlafen. Deshalb rutscht jetzt eine halb aufgeblasene silberne Schneeflocke von ihrer Brust. „Was hab ich verpasst?“
„Sagen wir mal so: Santa wird heute Spaß haben“, wiederholt Spieglein. „Mein, ich meine sein Posteingang liest sich aktuell wie eine Parade verwirrter Antworten von Märchenfiguren. Sogar die Zahnfee scheint sich zur Luftverkehrsregulation äußern zu wollen.“
Noch während er spricht, vibrieren unsere Smartphones.
„Äh?“ Rose hält uns ihr Display entgegen. „Kriegt ihr auch einen Videoanruf von Santa?“
Ja, tun wir. Ein Gruppenanruf. Ohne zu blinzeln, starre ich mein eigenes Display an. „Ich wusste nicht, dass er meine Nummer hat.“
„Nun ja, er ist der Weihnachtmann“, haucht Rapunzel voller Ehrfurcht.
„Macht keinen Aufstand, ich nehme den Anruf an.“ Und das tut Snow auch ohne weiter Zeit zu verschwenden – nachdem sie sich ihre ebenholzschwarzen Haare glattgestrichen hat.
Gebannt starren wir alle auf unsere jeweiligen Smartphones. Tatsächlich, es ist Santa, der da direkt in die Kamera deutet. Er trägt einen grün-roten Strickpullover mit Rentiermuster. „Ich weiß, dass ihr das wart.“ Santas Stimme ist tief und … wütend. Nie hätte ich gedacht, dass Santa wütend werden könnte. „Jetzt reichts. Erst stehlt ihr meine Rentiere und hackt nun auch noch meine A-Mails! Und das nur, weil ich keine Zeit für eure Weihnachtsfeier habe!“
„Meinst du E-Mails?“, wirft Rose ein, wird aber sofort von Snow unterbrochen. „Ich weiß nicht, wie viel Glitzerlack du gesoffen hast, aber wir klauen keine Rentiere. Das waren wir nicht!“
„Ja sicher. Von euch kam doch die Mail mit dem Heißluftballon – ganz klar eine Anspielung darauf, dass ich ohne Rentiere auskommen muss.“ Der Weihnachtsmann seufzt. „Ich kann das alles nicht mehr. Mich schätzt keiner heutzutage. Ab sofort übernimmt eine KI namens X-MasBot meine Aufgaben – ich habe davon im Internet gelesen und ja ich lasse mich lieber von einer künstlichen Intelligenz vertreten, als mich von euch zum Schneemann machen zu lassen.“ Er reißt sich mehrere weiße Barthaare aus, so angespannt ist er.
„X-MasBot?“, flüstert Rapunzel mit aufgerissenen Augen.
Das klingt in der Tat gar nicht gut. Aber was soll das mit den verschwundenen Rentieren? Wir stecken jedenfalls nicht dahinter.
Santa hebt seine Smartwatch an den Mund. „Hier Santa, X-MasBot, bitte kommen. Kannst du übernehmen?“
„Bestätigt, Santa. Effizienzprotokolle aktiviert.“ Ein rotes Licht tanzt über Santas Smartwatch.
„Gut. Ich denke, eine Runde Yoga wäre jetzt genau das Richtige für mich.“
„Verstanden, Santa. Initiiere Urlaubsmodus. Soll ich deine Abwesenheitsnotiz aktivieren?“
„Mach das. Und bitte bereite die Geschenkeverteilung vor. Die Unartigen-Liste überlasse ich in diesem Jahr dir.“
„O nein!“, haucht Rose und schlägt sich beide Hände vor den Mund.
Ein Bot statt Santa? Ein eisiges Gefühl macht sich in meinem Magen breit. Andererseits … „X-MasBot, wo stecken die Rentiere?“, frage ich geradeheraus, weil KIs doch angeblich alles wissen.
„Scanne …“ Ein Piep ertönt, der irgendwie entmutigend klingt. „Standort unbekannt.“
„Unbekannt?“ wiederhole ich ungläubig.
Santa zieht einen Flunsch. „Jetzt tut nicht so, als wüsstet ihr nichts. Bringt sie mir zurück und die Kinder dieser Welt bekommen ihre Geschenke von mir persönlich. Eure Entscheidung.“
Hilflos sehe ich zu meinen Freundinnen. Was soll das?
Santas Lippen werden schmal, wahrscheinlich interpretiert er unser Schweigen falsch. „Ciao und Arrivederci, wie man in Österreich sagt.“ Santa winkt uns zu und dann wird der Bildschirm schwarz. Na toll.
„Nicht hilfreich,“ murmle ich, während meine Gedanken rasen. „Wir brauchen ein Rentier-Rettungsteam, und zwar sofort. Wer ist dabei?“
„Heißt das, wir geben die Party zugunsten eines Abenteuers auf? Keine Selfie-Ecke mit Schneehäschen?“ fragt Cinder enttäuscht.
Snow wischt sich über die Nase. „Prioritäten, Cinder. Wir retten Santas flauschige Chauffeure, danach kannst du die sozialen Medien mit deinen Partybildern fluten.“
„Okay, Team.“ Ich hebe eine Faust. „Lasst uns Weihnachten retten!“
„Genau.“ Cinders Gesicht hellt sich auf. „Wir sind die fünf besten Freunde, die man sich wünschen kann und hinter dieser Tür wartet ein Abenteuer.“ Sie deutet zur Tür, die aus Snows Ballsaal zunächst in einen Flur führt und dann ins Freie.
Knarrend öffnet sich ebendiese Tür in genau diesem Moment – und zwar so unheilvoll, dass wir alle zusammenzucken. Ein goldgefiederter Kopf kommt zum Vorschein – ungefähr auf Höhe meines Knies. „Hier wird ein goldener Glücksbringer-Elf benötigt, wie ich höre?“ Es ist die Goldene Gans. Cinder muss sie wegen der Elf-Geschichte angeschrieben haben. „Ich kann zwar keine Päckchen schnüren, aber goldene Eier legen, und das schneller als ihr ‚Jackpot‘ sagen könnt.“
„Genau das, was wir brauchen …,“ kommentiert Spieglein von Snows Handydisplay aus und ist wie immer der Star jeder Selbstmitleidsparty.
Ich verdrehe die Augen so heftig, dass ich fast mein Gehirn sehen kann. „Halt die Klappe und glänz, Spieglein. Wir haben Hufe zu retten.“
„Jetzt halt du erstmal die Hufe still“, fährt er mich an. „Wo willst du denn hin, Red?“
„Ja, wo fangen wir an, Red?“ Snow hebt beide Augenbrauen.
Rapunzel runzelt ebenfalls die Stirn. „Wenn diese Künstliche Intelligenz die Rentiere nicht finden kann, wie sollen wir das tun?“
„Die KI mag ja intelligent sein.“ Ich neige den Kopf. „Aber wir haben einen schlauen Spiegel, der sämtliche Soziale Medien nach Geweihen absuchen kann.“
Spiegleins Mund verzieht sich zu einem O. „Aktuelle Bilder mit Geweihen, das ist es!“ Sofort verstummt er, doch man erkennt, dass seine Augenhöhlen hin und her flitzen. Und her und hin. „Da! Ich hab was. Das glaubt ihr nicht.“
„Was glauben wir nicht? Spuck‘s schon aus“, fordert Cinder ihn auf.
„Ich glaube … also den verstörenden Bildern nach zu urteilen, spielt die Schneekönigin gerade mit Santas Rentieren das Eiskönigin-Musical nach.“
„Alles nur das nicht“, murmelt Rose.
„Egal, welche Schrecken, auf uns warten, wir gehen!“, bestimme ich. So skurril sie auch sein mögen.
„Jap“, erklärt Snow, „die Sieben Zwerge übernehmen hier.“ Sie wirft die halb entknotete Lichterkette auf einen Stuhl. „Ich texte ihnen.“
Draußen sinken meine Stiefel bei jedem Schritt im Schnee ein. Leider ist es zu rutschig für Kutschen, weswegen unsere Rettungsaktion zu Fuß stattfindet. Bloß hat der erste Schnee des Jahres etwas so Magisches an sich, dass ich mich nicht beschwere.
„Sind wir bald da?“ jammert Cinder, obwohl ihre Füße in Flauschfell-Boots stecken, die selbst ein Schaf neidisch machen würden.
„Nur, wenn ‚da‘ mitten im Nirgendwo ist,“ antworte ich tonlos.
„Seht doch das Positive,“ ruft die Goldene Gans, die mit erstaunlichem Elan neben uns her watschelt. „Wir haben jede Menge goldene Eier in der Hinterhand.“
„Davon kann man ja nie genug haben“, bemerke ich leise.
„Ja! Genug, um eine Schlittenfahrt nach Hause zu bezahlen, sobald es aufhört zu schneien – falls wir überleben!“
„Überleben wird überbewertet,“ sagt Spieglein. „Es geht nur um die Reise, so heißt es zumindest in jedem Schundroman – davon abgesehen, bin ich im Gegensatz zu euch unsterblich.“
„Ruhe, ihr beide,“ faucht Snow. „Erinnert euch daran, dass wir Weihnachten retten müssen.“
Wenig später erreichen wir endlich die nördlichen Seen, wo wir uns ein kleines Motorboot im Bootsverleih der Gänsemagd leihen.
Auf dem See peitscht uns Schneeregen ins Gesicht. Das Wasser ist grau und mir kommen unwillkürlich gewisse Märchen über Seeungeheuer in den Sinn.
Am Strand der noch eisigeren Insel der Schneekönigin gehen wir an Land. Mit meinen Fingern, die sich eiskalt anfühlen, kämme ich mir die Haare aus dem Gesicht. „Irgendwo in diesem Wald steht ihr Schloss. Spieglein, findest du die kürzeste Route?“
„Klar. Bloß vergesst nicht: Die Schneekönigin ist gefährlich. Sie kann euch mit einem Fingerschnippen in Eisstatuen verwandeln“, informiert uns Spieglein aus Snows Smartphone.
„Ach, keine Sorge.“ Die Goldene Gans hebt einen Flügel. „Sie und ich sind Geschäftspartner. Über mich kauft sie ihr Mittel gegen Fußpilz.“
Snow verzieht das Gesicht. „Ich weiß nicht, inwieweit ich das beruhigend finden soll.“
Ein vor lauter Schnee glitzernder Tannenwald erstreckt sich vor uns, so einladend wie eine Steuerprüfung. Obwohl ich mich andererseits an einen Zuckerguss-Überzug erinnert fühle. Wir laufen und laufen. Und irgendwann erhebt sich ein Schloss aus Eis mitsamt seinen gefrorenen zwölf Türme vor uns. Sobald wir die Eisbrücke überqueren, öffnen sich die Tore des Palastes. Alles ist hier aus Eis geformt. Jeder Stein und jede Schraube.
„Hallöchen!“ Eine gut gelaunte Stimme lässt mich aufsehen. Die Schneekönigin trippelt die Eisstufen einer Treppe hinab, die sich an die Mauer des Schlosses schmiegt. Das ist sie? Blonde Haare, Sommersprossen um die Nase und kleine Äuglein. Doch von ihrem niedlichen und beinahe freundlichen Auftreten lasse ich mich nicht täuschen, denn ihr Blick ist scharf genug, um Eisskulpturen zu formen.
„Ungeladene Gäste, so so“ schnurrt sie. „Wem verdanke ich diese Unterbrechung?“
„Eigentlich verdankst du unseren Besuch hauptsächlich dir und deinen kriminellen Handlungen,“ beginne ich ohne Umschweife und stemme beide Hände in die Hüften. „Wir sind gekommen, um über die Freilassung der Rentiere zu verhandeln, die du gemopst hast.“
Die Schneekönigin hebt eine Augenbraue. „Wie putzig. Erst ignoriert ihr mich, ich bekomme nicht mal eine Einladung zu eurer Party, aber jetzt bin ich wichtig genug, dass ihr persönlich auftaucht?“
Ach, daher weht der Wind.
„Genau,“ fällt Rapunzel ein und dreht eine Haarsträhne mit einem geübten Lächeln um ihren Zeigefinger.
Rasch schiebe ich mich vor sie. „Wir reden hier von der magischsten Weihnachtsfeier, die der Märchenwald je gesehen hat – mit Glühweinbrunnen, Karaoke und einer Selfie-Ecke. Eventuell könnten wir über eine Einladung für dich reden. Wenn du uns entgegenkommst.“
„Selfie-Ecke?“ Die Schneekönigin sieht interessiert aus.
„Exakt. Die Bilder können sofort im Netz geteilt werden,“ sage ich und hoffe, dass ihre Eitelkeit sie lockt.
„Hashtag FrostigAberFabelhaft,“ schlägt Cinder mit einem Augenzwinkern vor.
„Hashtag LassJetztLos,“ füge ich hinzu, worauf Spieglein kichert, ehe er den Refrain von „Let it go“ summt. Rose schnarcht auf einem Schneehügel im selben Takt.
Die Schneekönigin überlegt, tippt mit einem Finger an ihre frostigen Lippen. „Also gut. Ihr hattet mich schon bei Karaoke. Rentiere gegen Partyeinladung.“
„Abgemacht“, sage ich. „Ein fairer Tausch. Und jetzt holen wir die Rentiere, bevor sie zu Eisskulpturen werden.“
Das Lächeln der Schneekönigin wird breiter und hat plötzlich etwas Mörderisches an sich. Der eisige Wind heult um uns herum und einen Moment lang fürchte ich, sie könnte uns hintergehen. Doch da klatscht sie in die Hände. „Gut, lasst uns Santas Rentiere vor meinen Schlitten spannen.“
Innerlich atme ich auf.
Auf meinem Smartphone piept es. Ungewöhnlich … Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Eine blecherne Stimme ertönt – es ist der X-MasBot. „Danke, dass ihr Santas Rentiere rechtzeitig gefunden habt, um die Geschenke aufzuladen. Aus Effizienzgründen habe ich ermittelt, dass es am sinnvollsten ist, in diesem Jahr nur drei Arten von Geschenken auszuliefern und das nach dem Zufallsprinzip: Zahnbürsten, Gummibäume und Klopapierrollen.“
„Na, da werden sich die Kinder aber freuen“, murmelt Spieglein.
„Schickt einfach die Rentiere zurück zum Nordpol. Der Rest soll nicht eure Sorge sein“, sagt X-MasBot
Ich tausche einen Blick mit meinen Freunden. Selbst die Schneekönigin schaut skeptisch. „Ihr wollt euch nicht ernsthaft von einer KI Weihnachten versauen lassen?“
Nein. Wollen wir natürlich nicht. Dieses Mal bin ich diejenige, die verschlagen lächelt, denn spontan ist mir eine Idee gekommen. „Also setzt du bei den Geschenken auf Logik und nicht auf Liebe?“, frage ich mein Handy, auf das sich die KI Zugriff verschafft haben muss.
„Korrekt. Das ist die effizienteste Lösung.“
Ich neige den Kopf. „Aber ist Weihnachten ohne Liebe wirklich Weihnachten?“
X-MasBot scheint tatsächlich zu überlegen. „Ja. Nein. Ich meine Weihnachten ist … ungleich Weihnachten …“
„Ich bitte dich. Man kann doch nicht durch Null teilen!“, stichelt Spieglein.
Krrrcchhhh. Aus meinem Handy knistert es. „Systemfehler, System …“ die blecherne Stimme erstirbt.
„Du hast ihn abgemurkst“, verkündet Cinder fröhlich.
„Ach, die Poesie der Computer-Logik,“ murmelt Spieglein, der in meinem Smartphone auftaucht. „Laut aktuellen Überwachungskamera-Bildern sitzt Santa übrigens momentan auf einer Zuckerstangenbank in der Lebkuchen-Lane.“
Ah, ein Klassiker. Mit den Fingerknöcheln klopfe ich gegen mein Display, aus dem Spieglein zu mir aufblickt. „Danke, bester Hacker und Navigator aller Zeiten.“ Tatsächlich teilen Spieglein und ich in diesem Augenblick ein zufriedenes Lächeln, was einem Weihnachtswunder gleichkommt.
„Nächster Halt: Weihnachten retten!“ ruft Rose, worauf die Schneekönigin die Augen verdreht.
Mit einem „Swusch“ bremst der Schlitten der Schneekönigin kurz vor Santa ab, Schnee wirbelt hoch und wir springen von Bord, während unsere Lungen frostige Atemwölkchen ausstoßen. Rudolphs Nase blinkt magisch-rot.
„Bei Merlins Bart,“ keuche ich, während Rapunzel irgendetwas von „Gleich übergeben“ murmelt.
Und da steht Santa höchstpersönlich vor der Zuckerstangenbank, die Augenbrauen höher gezogen als die Spitze des Nordpols. Sein Blick wandert über uns und ich stelle mir seine Gedanken in etwa so vor: Vier Prinzessinnen, Rotkäppchen, Schneekönigin, Goldene Gans, Schlitten, Rentiere – klingt wie eine Einkaufsliste aus einem Fiebertraum.
„Santa!“ quiekt Cinder. „Wir haben die Rentiere bei der Schneekönigin abgeholt und deine KI hatte einen Kurzschluss.“
„Ah.“ Er streicht sich über den Bart, das Funkeln in seinen Augen ist zurückgekehrt. „Ich bin fünf Minuten weg und ihr crasht meine KI und stehlt meine Rentiere zurück?“
„Das war gutes Teamwork,“ sage ich leichthin und klopfe mir den Schnee vom Umhang.
Santas anfängliches Erstaunen weicht einem warmen Lächeln. „Es scheint, dass der wahre Geist von Weihnachten aufrechterhalten wurde – durch das Band der Freundschaft und Zusammenarbeit.“ Santa tritt vor. „Danke, euch allen. Und weil es so nett mit euch ist, schaue ich später bei eurer Feier vorbei.“
Spieglein gibt von irgendwoher einen Japser von sich.
„Okay, okay.“ Snow tritt einen Schritt zurück. „Jetzt mal nicht zu sentimental werden. Wir müssen los – diese Party schmeißt sich nicht von allein.“
Und was für eine Party. Als wir uns auf den Rückweg zum Märchenwald machen, tanzen Schneeflocken um uns herum.
„Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie die Dekoration geworden ist,“ sagt Cinder.
„Sieht wahrscheinlich aus, als wäre eine Glitzerfabrik explodiert,“ sage ich und grinse.
Als wir um die Kurve biegen, ist der Anblick vor uns einfach magisch. Die Sieben Zwerge haben die Auffahrt und den Schlossgarten von Snow in ein Winterwunderland verwandelt. Blinkende Lichterketten sind zwischen den Bäumen gespannt und tauchen den schneebedeckten Boden in ein warmes Licht. Der Glühweinspringbrunnen thront stolz in der Mitte der Rasenfläche und verströmt einen würzigen Duft, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
„Ist das ein Lebkuchenhaus-DJ-Pult?“ fragt Rose mit weit aufgerissenen Augen.
Genau das ist es. Und daneben glitzert eine Karaoke-Bühne aus purem Eis.
„Schaut nur!“ flüstert Cinder aufgeregt und deutet auf unsere eisige Ehrengästin. Die Schneekönigin ist vorausgestürmt und macht bereits Anstalten, die Karaoke-Bühne für sich einzunehmen.
„Das wird interessant“, befindet Spieglein.
„Auf ein verrücktes Weihnachtsfest!“ rufe ich und erhebe meinen Glühweinbecher samt Zimtstange. „Und darauf, dass die Kinder der Welt in diesem Jahr mehr als nur einen Gummibaum bekommen.“
Meine Freunde kichern über meinen Witz und das ist das allerbeste Geschenk. Freunde, die einem nah sind und für immer bleiben wie Tannennadeln auf Wollsocken. Ich hebe den Kopf und sehe in diesem Moment Santa über unsere Köpfe fliegen. Von seinem Schlitten aus winkt er uns zu. „Ho-Ho-Ho! Frohe Weihnachten. Ihr steht alle wieder auf der Artig-Liste!“
Cinder drückt meine Hand und von Rose vernehme ich ein leises Jauchzen.
„Und für dich habe ich ein spezielles Geschenk, Spieglein.“
Irgendwo in der Nähe piept es und kurz darauf hören wir Spieglein verzückt kreischen: „Ein neuer Bildschirmschoner. Genial. Danke Santa!“
Ich wende den Kopf und sehe, wie Snow auf ihr Smartphone starrt, aus dem Spieglein Unverständliches brabbelt. Ihre Mundwinkel heben sich, dann zeigt sie uns allen das Display. Ein Rentier in Großaufnahme mit blinkender Nase – darunter ist in weißer Schrift zu lesen: Die Artig-Liste wird überbewertet.
Ich grinse. Wenn das kein frohes Fest ist, weiß ich auch nicht.